Masuren 2023 (Teil 1)

Kann Spuren unbezahlter Werbung enthalten!

Über Stock und Stein

Mit dem Hollandrad durch Masuren 

 

Plan und Vorbereitung

Wir sind schon recht verwundert, welchen Boom E-Bikes oder Pedelecs derzeit erfahren. Verwundert deshalb, weil ja das Fahrrad an sich, also das schlicht von Menschenkraft per Pedal, Kurbel und Kette angetriebene, schon eine unglaublich geniale und im wahrsten Sinne des Wortes weiterführende Konstruktion ist. Schafft man zu Fuß vielleicht zwanzig oder dreißig Kilometer am Tag, kommt man mit derselben Anstrengung auf dem Fahrrad ohne Weiteres dreimal so weit. Oder noch mehr. Wofür bedarf es da unter normalen Umständen des Elektroantriebs?

Beate und ich dachten eines Abends mal wieder über Sinn und Unsinn von E-Bikes nach und schimpften auf die Bequemlichkeit. Fährt man damit wirklich täglich zur Arbeit, wie man es sich vorgenommen hat, oder spart man dadurch vielleicht sogar ein Auto ein? Die meisten dieser teuren Fahrräder dienten doch wohl mehr dem Freizeit-Vergnügen als der schlicht notwendigen Fortbewegung.

In meiner Familie bin ich für bisweilen leichtfertige und nicht minder folgenschwere Äußerungen bekannt. Und während ich den sinnvollen Verwendungen eines E-Bikes auch noch die Möglichkeit hinzufügte, damit einen Fahrradurlaub machen zu können, ergriff in mir ein Anflug von Größenwahn und Selbstüberschätzung das Wort und prahlte, dass wir so etwas ganz sicherlich noch aus dem Stand mit einem ganz normalen Fahrrad hinbekommen würden. Ho, ho, ho!

Beate Augen blitzten, das Unglaubliche war ausgesprochen! Schnell gab ein Wort das andere, und wir diskutierten bereits mögliche Routen und Ziele und fassten tatsächlich den festen Entschluss, im bevorstehenden Sommerurlaub den Zirkuswagen stehen zu lassen und eine Reise mit dem Fahrrad zu machen.

Nun muss man folgendes wissen:

Wir sind total untrainiert und eigentlich Nicht-Radfahrer, zumindest ich. Schon die Tour zum Fahrradhändler in Münster, hin und zurück knapp 40 km, haben mich total fertig gemacht: Zerrungen an den Oberschenkeln und ein unerhörter Schmerz außen am rechten Knie. 

Wir haben auch keine tollen Fahrräder, ganz zu schweigen von einem E-Bike. Ich habe von unserem leider viel zu früh verstorbenen Schwager ein vielleicht 10 Jahre altes Gazelle-Fahrrad geerbt, das ihm (1,85 m) vermutlich sehr gut passte, für mich mit 1,70 m aber eine winzige Spur zu groß ist.

Beate hatte eine nach heutigem Maßstab „uralte“ Gazelle, wohl so um die 35 – 40 Jahre alt, nicht mehr im besten Zustand und zudem nur mit einer 3-Gang-Schaltung versehen. Zumindest hier war technische Aufrüstung notwendig. Wir sahen uns deshalb ein Weilchen bei den Internet-Kleinanzeigen um und hatten schließlich eine kleine Auswahl ihr zusagender Fahrräder, die wir an einem Sonntagnachmittag der Reihe nach begutachten wollten. Schon das zweite angesehene Fahrrad war ein Volltreffer. Ein Gazelle-Rad wie gerade aus dem Laden, an dem wirklich nichts auszusetzen war. Das freundliche, ältere türkische Ehepaar aus Gladbeck hatte es wenig genutzt und bestens gepflegt. Bei ihnen sollte nach dem Verkauf ein E-Bike herkommen, was uns in diesem Fall Recht sein sollte. Daraus, dass das Fahrrad schon einige Wochen zum Verkauf stand und trotz dieses unglaublich guten Zustandes immer noch nicht verkauft war, schlossen wir, dass wir die ersten Interessenten gewesen sein mussten. Denn jeder andere erste Interessent hätte dieses Rad ja sofort kaufen müssen, weil es einfach nichts auszusetzen gab. Nicht mal am Preis. 

Zu Hause haben wir auch das Baujahr identifizieren können. Die Rahmennummer ist „von 1981 bis 2006 GZ mit 7 Zahlen, die erste Ziffer entspricht der letzten Ziffer des Baujahres“ (siehe www.deichrad.de). In unserem Fall konnte das bedeuten 1985, 1995 oder 2005. Da am Fahrrad eine Hinterradnabe Super 7 von Fichtel & Sachs verbaut ist, die ab 1993 produziert wurde und schon wenig später unter SRAM firmierte, muss das Fahrrad also aus dem Jahr 1995 stammen und ist damit stolze 28 Jahre alt.

Die Reise

Unsere konventionellen Hollandräder mit 7-Gang-Nabenschaltung und klassischer Rücktrittbremse haben wir aufs Autodach gepackt und sind nach Iława (Polen) gefahren, von wo aus wir uns mit Packtaschen und Zelt auf eine ungewöhnliche Fahrradtour quer durch die masurische Seenplatte begeben haben. 

Beate hatte wie immer im Vorfeld gründlich recherchiert und eine hübsche Route zusammengestellt, die wir nun Etappe für Etappe abklappern wollten.

Übersicht
Masuren

Der erste Tag lief gut an. Das Wetter war fantastisch und der Weg erschien leicht. Kurze Strecken mit weichem Sand steckten wir lässig weg und störten uns auch nicht, wenn wir ab und zu absteigen und schieben mussten. Wir fuhren durch schöne Landschaft und waren bester Dinge.

Gegen Nachmittag traten die Leiden wieder auf, die ich schon beim Probefahren verspürte: schmerzhafte Zerrungen auf den Oberschenkeln und dieses fiese Ziehen am rechten Knie. Ich fiel zurück, raffte mich auf, kämpfte, aber nichts half. Ich brauchte eine Pause, dann noch eine, schließlich musste ich mich ins Gras legen und entspannen. Aber auch danach ging es kaum besser, und nur mit zusammengebissenen Zähnen erreichte ich nach knapp 50 km das abendliche Ziel.

Die Tour war definitiv gefährdet! Warum hatte ich das vor unserer Reise nicht ausgiebig getestet, um jetzt nicht straucheln zu müssen? Ich malte mir aus, wenn das mit den Schmerzen so weiterginge, müsste Beate irgendwie zum Auto zurückkommen und mich anschließend einsammeln. Der Urlaub wäre vorbei, ehe er richtig begonnen hätte. Von der Häme, die mich Großmaul getroffen hätte, ganz zu schweigen. 

Mit diesem unguten Gefühl fuhr ich am nächsten Tag los. Die Zerrungen waren erst mal weg, wie schön. Aber das Knie fing bald wieder zu schmerzen an. Ich ignorierte diesen Umstand und fuhr gegen den Schmerz an. Es war nicht angenehm, aber im schlimmsten Fall auch in den nächsten Tagen irgendwie zu ertragen.

Auch bis zum Ende dieser 46 km langen Etappe waren die Zerrungen nicht wieder aufgetreten. Aber wegen der Schmerzen im Knie ging ich humpelnd durch den Ort, wir kauften Käse und Weißbrot fürs Abendessen. Auf der Terrasse des Ladens tranken wir ein erstes erfrischendes Bier und setzen uns anschließend mit Brot und Wein an den See.

Der See war ruhig und die Badegäste gegen Abend verschwunden. Als wir später aufstanden,  waren auch die Schmerzen im Knie schlagartig weg, verschwunden, von jetzt auf gleich. Einfach so. Der Tour war gerettet!

Dementsprechend konnten wir unsere Reise unbeschwert fortsetzen. Wir kämpften uns die ewig auf- und absteigenden Wege entlang, wurden auf Kopfsteinpflaster durchgeschüttelt und steckten in tiefem Sand fest. Auf schattigen Waldwegen gab es Schutz vor der teilweise sengenden Sonne, und bei Regengüssen fanden wir immer rechtzeitig einen Unterstand. Die Strecken waren alles andere als einfach und verdienten fast nie die Bezeichnung „Radweg“ (davon an anderer Stelle mehr), aber wir waren glücklich über jedes erreichte Etappenziel. 

Abends schlugen wir unser Zelt auf einem der schönen Campingplätze auf, stillten Hunger und Durst und genossen die Abendstimmungen.

Weitere Einzelheiten der Tour ersparen wir uns und euch und verweisen auf die noch folgenden Exkurse zu einigen Themen wie „Fahrradwege“, „Störche“ usw. Wen die Streckenabschnitte interessieren, kann diese unten auf der Seite nachsehen. Die angegebenen Entfernungen liegen etwas unter unseren Messungen, da es sich um die Ideal-Routen handelt, wir uns aber hier und da verfahren oder aus anderem Grund noch eine Ehrenrunde gedreht haben. 

Am Ende waren es 550 km, als wir schließlich am 21. Juli nicht ganz ohne Stolz, vor allem aber ohne jegliche Panne am Zielpunkt Ełk angekommen waren. 

Dort bestiegen wir mittags erst den einen, später in Olsztyn dann den nächsten Zug, um dann am späten Nachmittag wieder in Iława anzukommen. 

Vom Bahnhof waren es nur noch wenige Kilometer bis zum Campingplatz, an dem 12 Tage zuvor die Tour begonnen hatten.

 
Für heute war es das. 
Immer hübsch frei bleiben!

 

 

Hier die Etappen unserer Reise:

DatumStreckeSchwierigkeitDistanzHöhenmeter
09.07.2023Von Iława nach Stare Jablonki mittel49,7 km250 m
10.07.2023Von Stare Jablonik nach Pluskimittel46,4 km380 m
11.07.2023Von Pluski nach Dłuzek
mittel
30,8 km210 m
12.07.2023Von Dłużek nach Elganowo
mittel
31,3 km
180 m
13.07.2023Von Elganowo nach Zdrojewo
mittel
46,3 km
230 m
14.07.2023Von Zdrojewo nach Piecki und zurück
leicht
17,7 km
50 m
15.07.2023
mittel
24,5 km
140 m
16.07.2023Von Ukta nach Nowe Guty
mittel
50,7 km
260 m
17.07.2023Von Nowe Guty nach Tałty
schwer
31,7 km
130 m
18.07.2023Von Tałty nach Wilkasy
mittel
41,1 km
240 m
19.07.2023Von Wilkasy nach Kietlice
mittel
42,6 km
210 m
20.07.2023Von Kietlice nach Liski
mittel
61,8 km
290 m
21.07.2023Von Liski nach Ełkmittel18,6 km50 m
Und hier die ganze Strecke im Zusammenhang: 
Radtour Masuren 2023

 

 

 

6 Antworten

  1. Erhard & Erika sagt:

    Wir sind beeindruckt. Erhard und Erika

  2. Gitta Heidemann sagt:

    Toll!! Die guten alten Gazellen!!
    Ich (61) bin letztes Jahr auch per „Bio-Bike“ allein durch Deutschland geradelt. War super. Und es waren zu 90% E-Bikes unterwegs…Viele Grüße, Gitta

    • Peter sagt:

      Wir sind auch ganz begeistert von unseren Gazellen. Nie zuvor hatten wir Räder, die so leicht rollen. Und wenn man erst die Anfangs-Wehwehchen überwunden hat, macht Bio-Radeln richtig Spaß. Es kommt ja nicht darauf an, in möglichst kurzer Zeit viel Strecke zurückzulegen, sondern sich zu bewegen und die Fahrt zu genießen. Wir finden, dass uns all zu oft Bequemlichkeitsversprechen gemacht werden, die unterm Strich für unsere Gesundheit nicht gut sind. Wer rastet, der rostet! Deshalb versuchen wir, so viel wie möglich aus eigener Kraft zu leisten und so lange wie möglich beweglich zu bleiben.

  3. Christine sagt:

    Eine tolle Tour habt ihr da gemacht. Vor dem Kindern, also bis 2014 waren wir auch mit dem Biorad in Deutschland unterwegs. Der Emsradweg war toll. Jetzt sind die Kids noch zu jung für lange Strecken. Im Alltag möchte ich mein E-Bike aber nicht mehr missen fürs Kinder transportieren, einkaufen etc. Dafür steht das Auto den größten Teil des Jahres.

    • Peter sagt:

      Hallo Christine, irgendwie war es verrückt, diese Tour zu machen, weil wir hätten wissen können, dass die Wege so sind, wie sie waren… Am Ende aber war es toll und wir voller Stolz, es geschafft zu haben.
      Der Ems-Radweg macht mich neugierig, vielleicht wäre das etwas für uns, ist ja nicht so weit weg von uns. Heute haben wir jedenfalls erst mal unseren Bildungsurlaub für das kommende Jahr gebucht – mit dem Fahrrad entlang der Rur (ohne „H“), und natürlich mit unseren alten Gazellen. Darauf freuen wir uns schon jetzt.
      Übrigens finden wir es völlig ok, ein Pedelec zu nutzen, wenn dadurch wie bei dir ein Auto ersetzt wird oder man anders kein Fahrrad nutzen würde oder könnte. Was wir ein bisschen kritisieren sind die Freizeitradler, die high-equipped unterwegs sind und uns Nutzen und Sinnhaftigkeit dieser tollen Räder für lediglich Sonntagstouren weismachen wollen. Toll finde ich übrigens die vielen jungen Eltern, die ich mit ihren Kindern (wenn sie im richtigen Alter sind) ernsthaft Fahrrad fahren sehe. Das lässt hoffen, dass vielleicht eine Generation heranwächst und erzogen wird, die wieder maßvoller und bewusster lebt.
      Liebe Grüße Peter

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