Vom Glück, in Rente zu gehen – und dem kleinen Wort „wohlverdient“

 

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Wir sind im Ruhestand. Am letzten Freitag (4. Juli 2025) war unser letzter Arbeitstag. Nun nehmen wir erst noch unseren Resturlaub und sind ab August dann nicht mehr in Lohn und Brot. Noch fühlt es sich komisch an, aber wir werden schon damit klarkommen…

In den letzten Wochen hörte ich dauernd diese Floskel vom „wohlverdienten Ruhestand“, die mich immer auf die Palme bringt. Vielleicht wollen diese Menschen einfach nur sagen: ich gönne dir das. Aber sie sagen „wohlverdient“. Und das ruft zu Widerspruch auf. Wohlverdient? Einfach so?

Also: Ich bin jetzt 63, habe lange gelernt und studiert und, ja!, auch einige Jahre gearbeitet. Aber ich habe bei der Arbeit meistens gesessen, malocht habe ich nie. Ich habe geplant, delegiert, gemailt – und dabei nur selten geschwitzt, außer vielleicht im Hochsommer in unseren mäßig klimatisierten Büros. Man mag das vielleicht anerkennen, aber „wohlverdient“ klingt nach absolvierter schwerster körperlicher Arbeit oder gar nach etwas, das einem naturgesetzlich zustehen könnte, wenn man nur lange genug durchhielte. Das trifft auf mich nun aber ganz und gar nicht zu.

Sind wir ehrlich: kaum etwas in meinem Leben habe ich wirklich „verdient“. Vielleicht mal das Feierabendbier oder eine erholsame Nacht nach einem anstrengenden Tag.

Manche sagen auch, das Gehalt ist nicht, was man verdient, sondern was man bekommt. (Dann müsste es aber eigentlich nicht „Verdienst“, sondern „Bekommst“ heißen. Aber das ist ein anderes Thema…)

Und als Kind hätte ich für die eine oder andere Dummheit eine Ohrfeige „wohl“ verdient – in meiner Generation wäre das ja durchaus noch üblich gewesen.

Aber ganz viel mehr fällt mir nicht ein, was ich verdient oder gar „wohlverdient“ hätte.

Ich habe eine tolle Frau. Ich habe ein Haus und einen Zirkuswagen. Ich hatte fast immer einen Job und leide keinen Mangel.
Was genau aber habe ich geleistet, um dieses Leben „wohl zu verdienen“?

Keine meiner Anstrengungen hätte viel bewirken können, hätte ich nicht dieses Glück gehabt, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu leben – mitten in der Komfortzone. Was jetzt beginnt, ist also nicht „wohlverdient“, aber es ist dank der fantastischen Umstände, in den ich leben darf, möglich geworden. Und das ist ja schon mal was.

Kaum etwas verdient und doch so viel bekommen!

Statt „wohlverdient“ also eher „wohl bekomm’s!“

Als ein älterer Spielkamerad auf die Frage „Was willst du denn mal werden“ mit „Rentner“ antwortete, war mir bereits als Sechsjährigem klar, dass das auch für mich genau das Richtige wäre. Wenn mein Ruhestand also zwar nicht „wohlverdient“ ist, so ist er aber auf jeden Fall „lang ersehnt“. Und das, seit ich sechs war.

Und wie es damals auf den Stufen meines Elternhauses und den Stufen der Grundschundschule mit der Schultüte im Arm begann und ich Stufe um Stufe nahm, so stehe ich fast 60 Jahre später wieder auf den Stufen eines altehrwürdigen Gebäudes, der Alten Zeche in Waltrop, steige sie hinunter und lasse viele Jahrzehnte Ausbildung und Beruf hinter mir zurück. Ich bin, wie es der Schweizer Schriftsteller Emil Baschnonga sagt, aus dem Bruttosozialprodukt entlassen.

Nun habe ich trotzdem noch ein bisschen Energie und einen Kopf voller Ideen, und Beate und ich haben noch so viele Pläne, dass weiterzuarbeiten echt stören würde. Außerdem entwickelt Beate eine zunehmende Lackdoseintoleranz. 

 

Wir hatten also gar keine andere Wahl, wir mussten gehen.

Wie die geneigten Leser*innen wissen, haben wir nicht nur den Job, sondern auch Familie, Haus und Nachbarschaft bis auf Weiteres verlassen, und das durchaus mit einem weinenden Auge, während das lachende sich nun auf Neues, auf Abenteuer, neue Freunde und den nächsten Schritt vorwärts auf dem Weg des Lebens freut.

Wir bleiben erreichbar über Telefon und Video, wir bleiben verbunden im Herzen – und nicht zuletzt über diese Website. Wir freuen uns auf jedes Wiedersehen, wo immer es möglich ist und passiert.

Wir grüßen alle mit den augenzwinkernden Versen von Felix Dahn (1834 – 1912)

Wer gehen muss, wo gern er bliebe,
Den trifft der Schmerz mit schwerem Hiebe;
Doch auch des Schmerz ist nicht geringe,
Wer bleiben muss, wo gern er ginge.

 
Für heute war es das. 
Immer hübsch frei bleiben!

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